Das Kind mit dem Strandbade ausschütten

Zurzeit will hier kein Mensch schwimmen gehen. Das Wasser ist einfach zu kalt, der Januar zu grau. 

In der kommenden Badesaison wird sich das wieder ändern. Und dann wird ein Problem wieder akut, dass schon seit 2010, zumindest aber seit 2017 virulent, aber ungelöst ist. Im Zentrum des Problems steht die Kernfrage, welche Verantwortung der öffentlichen Hand (aber auch Verbänden und Vereinen) für die allumfassende Verfügbarkeit von Sicherheit von Bürger*innen zugemutet werden kann, bzw. welche Entscheidungskompetenzen erwachsenen Menschen zugebilligt werden müssen. Die Frage stellt sich allgemein, hier aber explizit für das Baden in öffentlichen Seen.

2010 hat sich ein Kind in Rheinland-Pfalz beim Baden in einer Boje verfangen. Das Mädchen wurde zwar gerettet, hat aber, aufgrund des Sauerstoffmangels unter Wasser, schwere Hirnschäden davongetragen. Der Unfall passierte unter Badeaufsicht, aber diese hatte offenbar den Vorfall zunächst nicht bemerkt und Hilfsmaßnahmen erst mit Verögerung ergriffen. Jedenfalls gab 2017 der Bundesgerichtshof der gegen die zuständige Kommune klagenden Mutter Recht.

Das wiederum brachte die KSA (Kommunaler Schadenausgleich) auf den Plan. Die KSA ein ein verbandlicher Zusammenschluss von Städten und Gemeinden »um Risikoausschläge solidarisch aufzufangen, zu verteilen und damit für das einzelne Mitglied tragbar zu machen«, also eine selbstorganisierte aber eigenständige Versicherung gegen ewaige Haftungsansprüche an die Kommunen. Ohne direkt auf den konkreten Fall in Rheinland-Pfalz Bezug zu nehmen, veröffentlichte sie im Mai 2017 Hinweise zur Verkehrssicherungspflicht für Kommunen in deren Gebiet sich Badeseen befinden. Kein Problem sei es, so die KSA, wenn Menschen öffentliche Seen zum Baden nutzen. Die Eigentümerin eines solchen Sees kann das Baden als »Gemeingebrauch« nicht verbieten, es entstehen aus der einfachen Anwesenheit eines Gewässers aber auch keine Pflichten.

Aber: »Manch eine Kommune belässt es nicht bei dem Gemeinge­brauch. Sie stellt eine Infrastruktur (zum Beispiel Wasserrut­sche, Duschen und Umkleidekabinen) bereit und macht das Baden so noch attraktiver«, so der Text und ein paar Abschnitte weiter: »Wer durch die Bereitstellung einer Infrastruktur zu erken­nen gibt, dass an seinem Gewässer gebadet werden kann, eröffnet einen Verkehr und ist daher verkehrssicherungs­pflichtig.« Merkmale einer solchen Infrastruktur, die als Badestelle bezeichnet werden könnten, seien bereits Parkplatz und Liegewiese, mehr noch aber Umkleidekabinen und Sprungeinrichtungen, Wasserrutschen, Schwimminseln und Stege, so die KSA.

Die Verkehrsicherungspflicht beinhaltet, so interpretiert die KSA die einschlägige Rechtssprechung a) die Prüfung der Badetauglichkeit und b) der Wasserqualität des Gewässers, c) die Kontrolle des Gewässergrunds, d) im Falle von Sprungeinrichtungen die Gewährleistung einer ausreichenden Wassertiefe, e) die Bereitstellung einer Badeaufsicht f) die Wartung von Stegeablagen etc. g) und die Kontrolle des umliegenden Baumbestands.

Unplausiblerweise kann sich Kommune nicht durch ein Schild mit dem Hinweis »Baden auf eigene Gefahr« retten, nicht einmal ein Badeverbot könnte das Problem lösen.  Allein wegen des unwiderstehlichen Chames eines Strandbads wird Bürgerinnen und Bürgern offenbar die entsprechende Fähigkeit, mündige Entscheidungen zu treffen, nicht zugetraut. Nicht einmal das Baden unter Alkoholeinfluss gilt als eigenes Risiko.

Vergegenwärtigt man sich, dass in ländlichen Gemeinden die Bürgermeister*innen und Gemeinderäte ehrenamtlich arbeiten und es in der Regel keine Gemeinemitarbeiter*innen gibt, weil die Kommunen nur über einen kärglichen Finanzhaushalt verfügen, dann ist klar, dass sie diese Aufgaben, z.B. eine ständige Badeaufsicht zu stellen (die dann ja auch die Auen überall haben muss), überfordern und dass das Papier der KSA, je nach Naturell der Gemeindeverantwortlichen, zu erheblicher Verunsicherung geführt haben. Denn laut der einschlägigen Rechtsprechung haften die Bürgermeister*innen  strafrechtlich, können also der fahrlässigen Körperverletzung oder gar der Tötung angeklagt werden, wenn Badenden etwas geschieht.

Die KSA ist nun so verstanden worden, dass sie Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit Badestellen nur dann übernehmen kann, wenn die o.g. genannten, für viele Gemeinden schwer erfüllbaren Auflagen von a) bis g) von den Kommunen erfüllt werde. Allerdings schreibt die KSA zu diesem Thema folgendes:

»Betreibt eine Kommune eine Badestelle oder ein Naturbad, genießt sie Haftpflichtdeckungsschutz nach Maßgabe der Allgemeinen Verrechnungsgrundsätze für Haftpflichtschäden (AVHaftpflicht). Das bedeutet: Sofern sie als Betreiberin einer Badestelle/eines Naturbades Schadenersatzansprüchen ausgesetzt ist, kann sie uns diese Fälle wie gewohnt anzeigen. [Absatz] Unser Deckungsschutz greift auch dann, wenn eine Kommune ihre Verkehrssicherungspflicht nicht oder nur unzureichend erfüllt hat.«

Wie auch immer. Es gibt offenbar reale Risiken - und es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen. Nun sollte man meinen, dass es in BRD, zumal im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern mit seinen 2.200 Seen und ca. 1.900km Ostseeküste als Hotspot des bundesdeutschen Tourismus ein erhebliches Interesse geben müsste, für Klarstellung zu sorgen und die Kommunen rechtlich zu entlasten. Die Politik mag sich aber zum Thema offenbar nicht klärend äußern. Die Gemeinde Borkow wartet beispielsweise auf eine Stellungsnahme des Amt Sternberger Seenlandschaft , welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um an den 4 Seen der Gemeinde für Rechtssicherheit zu sorgen. Einige Gemeinden im Land haben in dieser Lage schon begonnen, Badestege abzubauen; auch solche die erst vor kurzem mit Landesmitteln gebaut werden konnten. In Borkow sind wir noch nicht so weit und in Schlowe es daher noch einen Steg ins Wasser. Der Strand wird, sagt Bürgermeister Martin Wagner, auf jeden Fall bleiben. Aber muss der Badesteg eingezäunt werden, damit er nur noch als Aussichtsplattform genutzt werden kann? Was ist, wenn Bädegaste über den Zaun stürzen und sich verletzen? Kann eine Badeaordnung das Problem lösen?

Es ist vemutlich zu einfach gedacht, aber mir scheint es dringend gesellschaftlich erforderlich, Menschen wieder mehr Eigenverantwortung zuzumuten. Erwachsenen muss man zutrauen können, dass sie für sich und für ihre Kinder eigenverantwortliche Entscheidungen treffen und dann im Schadensfall auch verantworten können. Die Verrechtlichung des Lebens in allen möglichern Bereichen und auch die Sorge, rechtlich belangt weren zu können, sollte nicht unsere ständige Entscheidungsgeberin sein. Unverfügbarkeit ist Teil menschlichen Lebens. Nur in dem Bewusstsein dieser Tatsache können auch Kinder lernen, eigenverantwortliche Persönlichkeiten zu werden.

Freies Baden in Schlowe und überall!

https://www.ksa-hadg.de/portal/cms/show?pageName=cms.prinzip.oeffentlich...)