Gute Gruppen, schlechte Gruppen

»Solang mir ein paar Freunde bleiben, hängt meine Fahne nicht im Wind.« 
(Reinhard Mey)

Der Entschluss aufs Land zu ziehen war, abgesehen davon ein Paar zu werden und unsere Kinder zu bekommen, eine unserer lebenslänglich besten Entscheidungen. Und nicht nur wir Innenwohnenden – auch die übrigen Vereinsmitglieder lieben das (in ihrem Fall gelegentliche) Landleben.

Es gibt aber drei Sorgenkomplexe, die uns gelegentlich den Nachtschlaf kosten. Außer dem Geld, das in der Aufbauphase immer wieder knapp sein wird (Sorgenkomplex 1), umtreibt uns die Sorge über die politische Entwicklung in der Welt, in der BRD, besonders aber in den ostdeutschen Bundesländern (Sorgenkomplex 2). Wir richten uns darauf ein, in diesem Zusammenhang zukünftig noch klarer für die Zivilgesellschaft und die Demokratie eintreten zu müssen. In diesem Zusammenhang werde ich bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr für die LINKE als Gemeindevertreter kandidieren.  Sorgenkomplex 3 ist zutreffend umschrieben mit dem Umstand, ein öffentliches Projekt zu bewohnen. Er ist wirksam in Kombination mit Sorgenkomplex 2, aber auch in geringerem Maße, weil Gastgruppen, mit denen wir sommers den Platz und unser Heim teilen, zum Ärgernis werden. Um hier nicht missverstanden zu werden: Viele Gruppen, die wir in den vergangenen Jahren bei uns aufgenommen haben, waren uns Anlass zu großer Freude. Viele schöne Begegnungen und Kooperationen durften wir erleben. 

Leider mussten wir aber auch immer wieder die Erfahrung machen, dass es Gruppen (und vor allem Gruppenleiter) gibt, die augenscheinlich nicht reif für die Insel sind. Weniger, als wir es uns in unserem Idealismus anno 2019 erhofften, haben wir nämlich die Blasiertheit mancher Großstädter:innen hinter uns lassen können. Aus der Distanz betrachtet scheint es manchmal vielleicht sogar noch dramatischer, wie rasant sich die Psychen verändern. Durch Corona, durch die Boombox, durch vereinsamte und individualisierte me-bubbles und die Verweigerung mancher Erwachsenen Kinder und Jugendliche auch mit einem kritischen Blick zu betrachten. 

 

Schlechte Gruppen …

Da missverstehen Gruppenleiter den Lärmschutz ab 22.00h als ein Lärmrecht für die Zeit zwischen 6.00h bis 21.59h. Da denken Teamer:innen »am stillen Örtchen« seien Pimmelkritzeleien kein Vandalismus, sondern entwicklungspsychologisches Schicksal. Da können Eltern es kaum sieben Tage allein ohne ihren im Ferienlager befindlichen Sprössling aushalten und schlagen geradezu erleichtert hier auf, sobald es für diesen herausfordernd wird, um ihn mit nach Hause zu nehmen. Da sind besonders geizgeile Geschäftsführer eingetragener Vereine und gemeinnütziger GmbHs, die nicht über den eigenen Tellerrand hinausblicken können auf der schnäppchensuchenden Jagd nach billigen Hüllen für ihre Unternehmungen.

 

Gute Gruppen …

Gute Gruppen haben, theoretisch oder intuitiv, den Knall gehört. Es geht es ihnen im spätmodernen sozialpädagogischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen nicht ausschließlich um die Durchsetzung negativer Freiheiten von Regelungen und Begrenzungen des eigenen Egoismus (wie sie insbesondere von Liberalen als einzig denkbare Freiheitsform deklariert werden), sondern um positive Freiheit, als Freiheit zu etwas[1]. Freiheit muss, um es mit dem Erziehungswissenschaftler Michael Winkler zu sagen, »in einem Zusammenhang gegenseitiger Achtung, der Achtsamkeit für den anderen, der Anerkennung seiner Leistung als einer persönlichen, dann endlich der Sorge umeinander in den Situationen des Lebens, die es erforderlich machen, füreinander einzutreten« [2] eingebettet sein.

 

Unsere diesbezüglichen Vorsätze für 2024 ff. 

Wir haben einiges ertragen und werden das wohl immer wieder mal müssen, aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Lebensfreude und unsere Gastfreundschaft existenziell leiden, wenn sie missbraucht wird und dass wir uns davor schützen müssen. Menschen, die nicht wenigstens den Anspruch haben, sich »mit unmittelbaren Impulsen ihrer Gefühle (von Liebe und Wut, Trauer oder Freude, Mitleid und Solidarität) einander zu[zu]wenden (…), sondern alles und jeden zum Verfügungsobjekt ihres isolierten Interesses machen müssen«[3] wollen wir uns in unserem Ferienlager, wenn möglich, nicht mehr haben.

Wir haben daher unsere Strategie modifiziert und sind bestrebt, die beschriebenen Zwänge und daraus folgenden monetären Begehrlichkeiten bei potenziell lukrativen Buchungsanfragen, trotz des Sorgenkomplexes 1, im Zaum zu halten. Nach knapp 6.000 Übernachtungen im Jahr 2023 haben wir daher für 2024 einige dicke Fische als zu kapital befunden und wegschwimmen lassen, auch auf die Gefahr hin, dass wir die Zahlen von diesem Jahr nicht halten können. Wir erklären ferner noch selbstbewusster im Vorfeld, dass unser natur- und dorfnahes Ferienlager kein Ort für eine unkontrollierte Musikbeschallung ist. Und bestehen darauf, dass man mit seiner Gruppe nur hierherkommen kann, wenn man uns und unsere Bemühungen mit Achtung begegnet und den Platz gut findet, wie er nun mal aktuell ist. Wir hören drittens genau hin und achten auf Warnsignale. Ein Warnsignal hören wir, wenn unsere Bautätigkeiten und unsere Gestaltungserfolge bei Platzbesuchen keines Blickes und keines Kommentars würdig befunden werden. Warnsignale hören wir außerdem bei gewissen »Fragen«: Ob wir mit dem Preis runtergehen können, hier oder da auf der Zeltplatzwiese noch Strom legen werden, diese oder jene schäbige Hütte abreißen wollen, falls die superreiche Gliederung sich in einigen Jahren eventuell dazu herablassen sollte, uns mit seiner 150köpfigen Anwesenheit zu beehren, ob wir bei Vollverpflegung einem Kind, dem unser Essen nicht schmeckt, eine Alternative anbieten, eigens für die delikate Gruppe Putzpersonal anstellen würden, Boomboxen doch erlaubt können, welche erlebnispädagogischen Angebote wir feilbieten, damit lehrers das Pult auch außerhalb des Klassen-Zimmers zwischen sich und ihren Educand:innen stehen lassen können.

Entscheidend ist beim Ersttelefonat, beim Platzbesuch, beim Mails schreiben und lesen die menschliche Passung. Wie viel Resonanz schwingt mit? Interessiert sich die anfragende Person auch für unser Projekt, als Projekt der Kinder- und Jugendhilfe? Wir erwarten von den Menschen, die ihre Freizeiten in unserem immer noch an vielen Stellen nicht perfekten, aber liebevoll und mit viel Arbeit gestalteten Projekt verbringen wollen, dass sie bereit sind, temporär unsere Lebensabschnitts-Kommunardinnen und Kommunarden zu werden. Das setzt die Bereitschaft voraus, im Namen des Sozialismus, des Humanismus oder der christlichen Werte mit anderen an der »Überwindung eines gesellschaftlichen Zustandes, in dem der Warentausch und die Ware-Geld-Beziehung, das die gesamte Gesellschaft dominierende Verhältnis ist«[4] zu arbeiten, wenigstens in unserem Kontext. 

Weil wir durch unsere guten Gruppen empirische Belege haben, dass es auch in der verrohenden Spätmoderne noch Menschen gibt, die für ihre Freizeiten, Zeltlager und Seminare nicht auf der Jagd nach einer billigen Bleibe sind, die sie benutzen können, wie eine x-beliebige Ware, sondern die stattdessen nach lebendigen und eigensinnigen Projekten Ausschau halten und in den Platzbetreibern ein echtes Gegenüber suchen, Menschen, die verstehen, dass es, wie in allen menschlichen Beziehungen zwischen Gastgebern und Gastgruppen des Austauschs und der gegenseitigen Solidarität bedarf und keiner Dienstleistungsverhältnisse, haben wir weiter große Lust auf diese Arbeit.

 

[1] Vgl. Taylor, Charles: Der Irrtum der negativen Freiheit. In: Derselbe: Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus. Frankfurt (Main), 1992, S. 118 – 144.

[2] Winkler, Michael / Pfützner, Robert / Paul-Siewert, Benjamin: Sozialistische Pädagogik? - Gedanken zur Einleitung. In: Paul-Siewert et al. (Hg.): Sozialistische Pädagogik. Eine kommentierte Anthologie. Hohengehren, 2016. S. 14.

[3] Gruschka, Andreas: Bürgerliche Kälte und Pädagogik. Moral in Gesellschaft und Erziehung. Wetzlar, 1994, S. 10.

[4] Fülberth, Georg, zit. n. Engelmann, Sebastian / Pfützner, Robert: Sozialismus + Pädagogik = Sozialistische Pädagogik? Geländevermessungen in einem Trümmerfeld. In: Dieselben (Hg.): Sozialismus & Pädagogik. Verhältnisbestimmungen und Entwürfe. Bielefeld 2018, S. 20.

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